Gerüchte und Gewalt in Russland II (Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts)" II
Auf einen Blick
DFG Sachbeihilfe
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Projektbeschreibung
Das Gerücht als Quelle und als historische Erscheinung wurde bis vor kurzem von Historikern mit seltenen Ausnahmef?llen ignoriert. Sie verlie?en sich dabei auf die Meinungen von Experten aus der Soziologie und Psychologie, die besagten, da? Gerüchte nur einen Informationsersatz oder ein Spiegel des kollektiven Unbewussten darstellen. Die Skepsis von historiographischer Seite ist verst?ndlich, denn ein Gerücht hat den Status einer sehr "weichen" Quelle, einer Erscheinung, die für eine wissenschaftliche Analyse zu schwammig ist und haupts?chlich in vormodernen Gesellschaften vorkommt. - Ziel dieses Projektes ist es, diese g?ngigen Klischees zu überwinden. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive wird das Gerücht als ein Medium informeller Kommunikation betrachtet, das für jede Gesellschaft gerade in Zeiten von Erschütterung und Ver?nderung zentral ist. - Gerüchte spiegeln zwar teilweise die Realit?t wider, schaffen aber darüber hinaus eine neue Wirklichkeit, indem sie die wichtigsten ?ngste und Hoffnungen der Menschen ausdrücken, unerkl?rlichen Ereignissen einen Sinn verleihen und eine Grenze zwischen dem "Eigenen" und dem "Fremden" ziehen. Gerüchte haben also die Funktion, einerseits eine pers?nliche Identit?t zu schaffen und Gemeinschaft herzustellen und dabei andererseits das Fremde auszugrenzen. Weiter kann das Gerücht als Instrument einer alternativen, oppositionellen Wirklichkeitsdeutung Menschen zusammenführen und sie zum Widerstand und zur Gewaltausübung mobilisieren. - Gewalt wird im Rahmen des Projekts als die menschliche F?higkeit verstanden, andere Personen einer physischen oder einer symbolischen Macht zu unterwerfen und ihnen k?rperlichen oder psychischen Schaden zuzufügen. Am Beispiel einer der dramatischsten Perioden der russischen Geschichte - vom Krim-Krieg bis zum Tod Stalins (1853-1953) - wird die Wechselwirkung zwischen Gerüchten und Gewalt untersucht, die in diesem Zeitraum die Wahrnehmung der politischen Akteure und deren Handlungen pr?gte sowie die Praxis staatlicher Herrschaft beeinflusste. - Ziel des Projektes ist es zu analysieren, wie das Kommunikationsmedium des Gerüchts und der Gewalt politische Gro?ereignisse strukturierten. Dabei wird epochenübergreifend gearbeitet: Es soll über die Z?sur von 1917 hinaus gezeigt werden, welche Kontinuit?ten in der sozialen und politischen Praxis zu beobachten sind, aber auch welchem Funktionswandel Gerüchte unterlagen.