Man beruft eben tüchtige M?nner und l??t die Universit?t sich allm?hlich encadrieren.

Durch eine neue Berufungspolitik ver?nderte Humboldt die Institution Universit?t ma?geblich
Humboldt z?gerte lange. Als er im Herbst 1808 zum Chef der Sektion für Kultus und Unterricht im Innenministerium berufen wurde, wollte er lieber in Rom bleiben. Hier war er Gesandter beim Vatikan, genoss zusammen mit seiner Frau Caroline das kulturelle Leben, liebte das antike Ambiente. ?Er zauderte auch wegen seiner Distanz gegenüber Kirchenfragen und wegen des abh?ngigen Status, den der Sektionschef – anders als die Minister in Preu?en – hatte“, sagt Elmar Tenorth, emeritierter Erziehungswissenschaftler der HU und Herausgeber der sechsb?ndigen ?Geschichte der Universit?t Unter den Linden, 1810 – 2010“ von 2010/12. Die fehlende amtliche Gleichstellung bewegte Humboldt letztlich dazu, bereits am 29. April 1810, vor der Er?ffnung der Universit?t, ein Entlassungsgesuch an den K?nig zu senden. In der Zeit dazwischen aber machte er Bildungspolitik und schrieb Universit?tsgeschichte.
Die Frage, ob es in Berlin eine Universit?t geben sollte, gewann nicht erst mit der Berufung Humboldts an Bedeutung, sondern wurde seit den 1780ern in Berlin leidenschaftlich, kritisch und kontrovers diskutiert. Sie fiel in eine Zeit, in der die Krise der europ?ischen Universit?t europaweit diagnostiziert, aber auch über eine neue Gestalt der Universit?t und den Status von Wissenschaft intensiv diskutiert wurde. ?13-, 14-j?hrige Studenten, ohne jegliche Qualifikation, waren keine Seltenheit. Die h?ufigsten Klagen über Studenten lauteten: Sie sind dumm, saufen, huren, prügeln und gef?hrden bürgerliche M?dchen“, erkl?rt Tenorth. Das wissenschaftliche Niveau war katastrophal, Forschung kein Thema, ?es wurde aus alten Büchern überliefertes Wissen vorgelesen.“ Charakteristisch war au?erdem ein korruptes Berufungssystem: ?Professor wurde nicht selten, wer bereit war, die noch unverheiratete Tochter des amtierenden zu heiraten.“
Eine Universit?t für Berlin
1802 entbrannte, vom K?nig angeregt, erneut die Diskussion über eine Universit?t in Berlin. Sie gewann 1806 an Tempo, weil durch den Krieg gegen Napoleon die Universit?t in Halle verloren ging. Friedrich Wilhelm III. forderte: ?Der Staat muss durch geistige Kr?fte ersetzen, was er an physischen verloren hat.“ Als Humboldt, am Ende doch an seiner preu?ischen Ehre gepackt, im Februar 1809 in Berlin sein Amt antrat, war Preu?en von Napoleon besetzt, K?nig Friedrich Wilhelm III. sa? in Memel, die Verwaltung hier wie da. ?Humboldt fiel mit einer riesengro?en Aufgabe in einen unvorbereiteten Raum. Er wusste aber, wie man Politik macht, wie man eine gro?e Idee institutionell umsetzen, finanziell und personell absichern muss. Er erfand das Ressort neu.“
Der Gründungsprozess erwies sich als umwegig und schwierig. Am 24. Juli 1809 legte Humboldt einen ?Antrag auf Errichtung der Universit?t Berlin“ vor, keine h?here Lehranstalt also, keine berufsbezogene Fachschule. Der K?nig stimmte dem Plan am 16. August 1809 in allen Details zu, auch dem Ziel, die Universit?t in einer integrierenden Rolle in der Berliner Wissenschaftslandschaft zu platzieren. Die Institute und Sammlungen der K?niglich-Preu?ischen Akademie der Wissenschaften wurden der Universit?t übergeben, die Akademie erlitt einen erheblichen Statusverlust. Die Universit?t wurde zum intellektuellen Zentrum der Vielzahl wissenschaftlicher Einrichtungen der Stadt, ?organisch“, wie er sagte, mit den anderen Institutionen verbunden: Charité, Botanischer Garten, Anatomisches Theater, Collegium medico-chirurgicum, Tierarzneischule, Pepinière (die dem Milit?r zugeordnete Medizinerschule), Bauakademie und Ackerbauinstitut, fünf Gymnasien, die k?nigliche Bibliothek. Auch das Museum des K?nigs, dessen Sammlungen und die der wissenschaftlichen Vereine der Bürger, geh?rten dazu.
Qualit?t in der Bildung
Angesichts der Probleme mit den Ministerkollegen musste sich Humboldt bald auf die Kernfragen der Realisierung der Universit?t konzentrieren: Personal, Geb?ude, Finanzen. Gemeinsam mit seinen drei engsten Mitarbeitern – Nicolovius, Süvern und Uhden, die zu den besten K?pfen im Bildungsbereich z?hlten – nahm Humboldt die Umgestaltung des preu?ischen Bildungssystems in Angriff. Er hatte dabei nicht nur das h?here Bildungswesen auf der Agenda, sondern die Idee einer Gesamtbildungspolitik für Preu?en. Er schickte Eleven zu Pestalozzi in die Schweiz, damit sie lehren lernten und die Volksbildung verbesserten, er lie? die Qualit?t der h?heren Schulen und ihrer Lehrer prüfen, und er forcierte die Einrichtung des Abiturs, um die Studierf?higkeit zu garantieren. Durch das Abitur und eine neue Berufungspolitik, mit neuen Studenten und anderen Professoren also, wurde auch die Institution Universit?t ma?geblich ver?ndert.
Der wichtigste Schritt in diese Richtung war der Einsatz einer ?Commission für die Einrichtung der Universit?t“, der neben seinen engen Mitarbeitern auch der Theologe Schleiermacher angeh?rte. ?Diese Kommission leistete die entscheidenden Schritte der Personalauswahl und die vorbereitende Arbeit an den Statuten, die allerdings erst 1816 abgeschlossen war“, erkl?rt Tenorth. Eine der wichtigsten Neuerungen: Humboldt und die Einrichtungskommission sorgten für die Qualit?t der akademischen Prüfungen und Berufungen an der Berliner Universit?t. ?Der Doktortitel der alten Universit?t wurde nicht selten in absentia vergeben und war quasi k?uflich, ungef?hr das Jahresgehalt eines Lehrers kostete ein Titel. Jetzt wurde eine wissenschaftliche Arbeit und ein mündliches Prüfungsverfahren zur Voraussetzung für die Promotion.“
Nur wer in dieser Weise, ?rite“, also ordentlich, qualifiziert war, galt als Bewerber. Für eine Berufung waren weitere Qualit?tsnachweise notwendig, vielversprechende Anw?rter, die noch ohne solche Leistungen waren, mussten ihre Forschungskompetenz auf einem neuen Gebiet innerhalb von zwei Jahren in ihrer Fakult?t nachweisen. ?Formalisiert entstand daraus die Habilitation mit einer weiteren Arbeit und einer eigenen Prüfung, die zum Privatdozenten führten. Solche Verfahren setzten sich erst ab 1860 auch an anderen deutschen Universit?ten durch.“
Strenge Kriterien bei der Bewerberauswahl
Die Rekrutierung des Personals war für die Gründung der Universit?t zentral. Humboldt schrieb im Mai 1810 an seine Frau: ?Man beruft eben tüchtige M?nner und l??t die Universit?t sich allm?hlich encadrieren.“ Die 1810 eingesetzte Einrichtungskommission prüfte scharf Forschungskompetenz und -leistungen, historisch, philologisch, mathematisch, experimentell oder in der Reflexion von Recht, Medizin und Theologie. Zwar hatte Humboldt keine hohe Meinung von Professoren, er nannte sie die ?unb?ndigste und am schwersten zu befriedigende Menschenklasse“, ihre politische Gesinnung spielte für ihn aber keine Rolle. Er verstand die Universit?t immer als Ort der Geistesfreiheit und beurteilte Wissenschaftler nur nach ihrer wissenschaftlichen Qualit?t. Aber auch Lehre und Studium spielten eine Rolle. Die Studierenden sollten bef?higt werden, an Forschungsprozessen teilzunehmen. Für jedes Fach wurde die ?Encyklop?die und Methodologie“ zur Pflicht, um die Studenten mit der Spezifik ihres Gebiets vertraut zu machen, aber auch mit dem Effekt, dass die F?cher selbst ihre eigene Spezifik ausarbeiteten.“
Humboldt suchte die Besten ihres Faches, aber auch aufstrebende junge Leute. ?Er scheute keine Mühen, die Wissenschaftler, die er als herausragend identifizierte, mit Geld nach Berlin zu locken.“ Friedrich Carl von Savigny, den führenden Rechtswissenschaftler der Zeit, beispielsweise holte er mit viel Hingabe aus Bayern nach Berlin. Nur einer der Gro?en seiner Zeit versagte ihm die Zusage – der Mathematiker Carl Friedrich Gau?, dessen Absage Humboldt schmerzte. ?Berlin z?hlte um 1800 nicht zu den angesagten Orten Europas wie etwa München, Wien oder Paris. Gau?‘ Ehefrau wollte nicht nach Berlin, in den m?rkischen Sand, fernab von jeder Zivilisation“, sagt Tenorth. Andererseits wurden viele Bewerber abgelehnt, weil sie keine Forschungserfahrung hatten. ?Diese Strategie unter h?rtesten Kriterien Bewerber zu rekrutieren, bestimmte die Universit?tspolitik Unter den Linden schon im 19. Jahrhundert.“ Berlin wurde zum Muster der modernen Forschungsuniversit?t.
Das Universit?tsgeb?ude – ein Palais wird zur Lehranstalt
Den Sitz der Universit?t stiftete der K?nig: das Palais des Prinzen Heinrich am Prachtboulevard Unter den Linden. Allerdings: ?Das Geb?ude stand nicht leer, wie es in manchen Werken hei?t, sondern war komplett vermietet, musste mühsam leergezogen werden und bedeutete noch für Jahre ein Problem für die Universit?t“, sagt Tenorth. ?Es wirkte au?erdem wenig einladend. Es gab keinen richtigen Fu?boden im Eingangsbereich, keine durchgehende Beleuchtung und auch keine Toiletten. Das Geb?ude für Lehrzwecke bereitzumachen, war ein riesengro?er Aufwand.“ Humboldt scheute ihn nicht.
Von Anfang an k?mpfte er als Sektionschef gegen den Widerstand der zust?ndigen Minister, auch sein eigener Minister, Friedrich zu Dohna-Schlobitten, war nicht kooperativ. Humboldts Urteil über die Regierung war vernichtend: ?Es gab eigentlich gar keine Regierung, keine Kraft, keine Consequenz, keine Einheit. … Man geht mit offenen Augen in den Abgrund, auch bei mir ist alle Hoffnung dahin, und die Aufl?sung meiner Ansicht nach vor der Thür“, schreibt er an den Regierungspr?sidenten in Potsdam, Ludwig von Vincke, am 30. Mai 1809. Aber er verzagte nicht: ?Man mu? auch am Rande des Abgrundes das Gute nicht aufgeben“, so am 28. Juli 1809 an Wolf. Dabei behielt er den klaren Blick für die Grundprobleme: ?Aber die Universit?t fordert Mittel, und ohne etwas bedeutendere und sichere fange ich nichts an, und daran arbeite ich“, hei?t es am 23. Mai 1809 an Schleiermacher.
Humboldt schaffte es zwar nicht, eine Finanzierung der Universit?t durch eigene Dom?nen zu sichern. Aber allen Widerst?nden zum Trotz gelang es ihm, das Gesamtvorhaben durchzusetzen. ?Das ist die eigentliche Gründungsleistung Humboldts“, unterstreicht Tenorth. ?In der Retrospektive ist er der Philosoph der gro?en Ideen, aber der heute dafür meistzitierte Text ??ber die innere und ?ussere Organisation der h?heren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin‘ wird erst um 1890 gefunden und spielt im Gründungsprozess gar keine Rolle.“
Die Er?ffnung ohne Humboldt
Die Universit?t hatte noch nicht einmal ihre Arbeit aufgenommen, da reichte Humboldt im April 1810 sein Rücktrittsgesuch beim K?nig ein, weil dieser die Zusage brach, ihn in den Ministerrang zu heben. Er wurde im Juli aus dem Amt entlassen, blieb aber kommissarisch bis November t?tig, bis sein Nachfolger Friedrich von Schuckmann, ein reaktion?rer, preu?ischer Beamter, das Amt übernahm. Er sah in Humboldts gesamter Bildungspolitik den sch?ndlichen Versuch, den preu?ischen Staat zu demokratisieren und zu liberalisieren.
Bei der Er?ffnung am 15. Oktober 1810 war Humboldt nicht mehr dabei. Das Datum wird bis heute als Gründungsdatum gefeiert, ?es markiert aber nicht den vollzogenen Akt der Einrichtung der Universit?t“, unterstreicht Tenorth. Nur wenige der etwa 50 Professoren, davon 25 Ordinarien, des Semesters 1810/11 begannen an diesem Tag mit der Lehre, unter anderem der Mediziner Hufeland. Fichte, Schleiermacher, die Juristen Savigny und Schmalz folgten Ende Oktober oder im November, andere erst 1811. ?Der Tag der Er?ffnung blieb von der akademischen und weiteren Berliner ?ffentlichkeit weitgehend unbeachtet.“ Die weitere Einrichtung vollzog sich in Etappen. Die Statuten, die der Universit?t die innere Struktur gaben, wurden erst am 24. April 1817, dem Tag der ?Einweihung“ der Universit?t, verkündet.
Wie ist Humboldts Rolle im Gründungsprozess angesichts ihrer kurzen Dauer zu beurteilen? ?Ohne ihn h?tte es die Universit?t so nicht gegeben, nicht zu diesem Zeitpunkt, nicht in der zwischen Modernit?t und Tradition changierenden Gestalt, nicht mit diesen Professoren und dem Primat der Forschung“, betont Tenorth. ?Niemand sonst hatte die Chance, die Macht, das Netzwerk und die Durchsetzungskraft Humboldts, um die Berliner Universit?t Realit?t werden zu lassen.“
Autorin: Ljiljana Nikolic
